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Gewerbsmässiger Wertschriftenhandel

Während der Corona-Pandemie entstand ein regelrechter Hype um den Online-Wertschriftenhandel. In der Schweiz gewann besonders der Onlinebroker Swissquote aussergewöhnlich viele Neukunden während der Krise. Im ersten Halbjahr 2021 verzeichnete Swissquote einen Zustrom an Kundengelder von fast 5 Milliarden Schweizer Franken (https://www.nzz.ch/finanzen/elon-musk-schickt-swissquote-auf-den-mond-ld.1639339?reduced=true, zuletzt besucht am 13. 10.2021). Der Anteil an Privatpersonen, die sich mit Wertschriftenhandel beschäftigen und die private Vermögensverwaltung zu einer Routine machen, wächst und wächst. Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass diese Tätigkeit steuerrechtliche Folgen haben kann. 

Problemstellung

Die Art und Weise wie die private Vermögensverwaltung ausgeübt wird, kann je nach Einzelfall steuerrechtliche Folgen nach sich ziehen. Erreicht die private Vermögensverwaltung die Intensität einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sodass die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, stellen die Kapitalgewinne aus den Veräusserungen von Wertschriften Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit dar. Das hat zur Konsequenz, dass diese Einkünfte aus dem Wertschriftenhandel besteuert werden. Um herauszufinden, ob im konkreten Fall eine private Vermögensverwaltung vorliegt oder eine selbständige Erwerbstätigkeit bzw. ein gewerbsmässiger Wertschriftenhandel, müssen die Kriterien geprüft werden. Dazu wird im Folgenden näher eingegangen. 

Ansprechpartner

Hubert Baumgartner

Geschäftsführer

Gamze Dogan

Juristische Mitarbeiterin


Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit

Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt eine selbständige Erwerbstätigkeit vor, wenn ein Unternehmer auf eigenes Risiko, unter Einsatz von Arbeit und Kapital, in einer frei gewählten Organisation und mit der Absicht der Gewinnerzielung am Wirtschaftsverkehr teilnimmt. Die Tätigkeit kann haupt- oder nebenberuflich sowie dauernd oder temporär ausgeübt werden (zit. BGer, Urteil vom 1. Dezember 2015, 2C_375/2015, E. 2.2). Die einzelnen Voraussetzungen können unterschiedliche Intensität aufweisen. Entscheidend ist, dass die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls umfassend gewürdigt werden (Simonek Madeleine/Gächter Thomas/Müller Karin, Unternehmensrecht I, Gründung und Aufbau, Sanierung und Liquidation, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, S. 112). Nicht von Bedeutung sind der Handelsregistereintrag oder die Buchführung (von Ah Julia, Die Besteuerung Selbständigerwerbender, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2011 (= GdSt 5), S. 1). 

Abgrenzung der selbständigen Erwerbstätigkeit von der privaten Vermögensverwaltung

Bei der Verwaltung des eigenen privaten Vermögens liegt keine selbständige Erwerbstätigkeit vor. Die private Vermögensverwaltung kann bspw. in Form von Wertschriften vorliegen (von Ah Julia, Die Besteuerung Selbständigerwerbender, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2011 (= GdSt 5), S. 10). Erreicht die Tätigkeit jedoch die Intensität, welche über die schlichte und gewöhnliche Vermögensverwaltung hinausgeht, müssen die von der Rechtsprechung definierten Kriterien geprüft werden, da in diesen Fällen eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegen kann (BGE 125 II 113, S. 118 E. 3c). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Indizien für eine selbständige Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit dem Wertschriftenhandel folgende (BGer, Urteil vom 23. Oktober 2009, 2C_868/2008, E. 2.4, vgl. ebenfalls Kreisschreiben Nr. 36 über den gewerbsmässigen Wertschriftenhandel vom 27. Juli 2012):

  • Systematische und planmässige Art und Weise des Vorgehens
  • Der enge Zusammenhang der Geschäfte mit der beruflichen Tätigkeit der steuerpflichtigen Person sowie der Einsatz spezieller Fachkenntnisse
  • Einsatz erheblicher fremder Mittel zur Finanzierung der Geschäfte
  • Häufigkeit der Geschäfte und kurze Besitzesdauer (Höhe des Transaktionsvolumens)
  • Die Verwendung der erzielten Gewinne bzw. deren Wiederanlage in gleichwertige Vermögensgegenstände

Zu erwähnen ist, dass nach der neueren Rechtsprechung die Kriterien systematische und planmässige Art und Weise und der Einsatz spezieller Fachkenntnisse eine untergeordnete Bedeutung haben. Sie werden vor allem als Ausschlusskriterium verwendet (BGer, Urteil vom 23. Oktober 2009, 2C_868/2008, E. 2.7). Bevollmächtigt der Steuerpflichtige einen Dritten, der die Wertschriftengeschäfte für den Steuerpflichtigen abwickelt, wird das Verhalten dieser Person dem Steuerpflichtigen zugerechnet. Keine Rolle spielt daher, ob der Wertschriftenhandel von der steuerpflichtigen Person selbst oder von einer Drittperson vorgenommen wird. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Beizug einer Fachperson im Zusammenhang mit Wertschriftengeschäfte gewöhnlich (BGE 122 II 446 E. 3b). Dagegen kommt den Kriterien wie Höhe des Transaktionsvolumens und der Einsatz erheblicher fremder Mittel zur Finanzierung des Geschäfts eine gewichtigere Bedeutung zu (BGer, Urteil vom 23. Oktober 2009, 2C_868/2008, E. 2.7). Nicht erforderlich ist, dass diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Entscheidend ist vielmehr, ob die Indizien für eine selbständige Erwerbstätigkeit aus einer Gesamtbetrachtung überwiegen. Für die Annahme der selbständigen Erwerbstätigkeit kann unter Umständen auch ein einziges Kriterium ausreichend sein. Den Umständen des Einzelfalls ist in jedem Fall Rechnung zu tragen (Kreisschreiben Nr. 36 über den gewerbsmässigen Wertschriftenhandel vom 27. Juli 2012, Ziff. 4.3.1). 

Kriterien der Steuerbehörden

Bevor die oben aufgeführten Kriterien geprüft werden, kann der Steuerpflichtige eine Vorprüfung vornehmen. Liegen diese nachfolgenden Kriterien kumulativ vor, so geht die Steuerbehörde davon aus, dass kein gewerbsmässiger Wertschriftenhandel vorliegt. Diese Vorprüfung trägt einer angemessenen Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen Rechnung (Kreisschreiben Nr. 36 über den gewerbsmässigen Wertschriftenhandel vom 27. Juli 2012).

  • Die Haltedauer der veräusserten Wertschriften beträgt mindestens 6 Monate
  • Die Summe aller Kaufpreise und Verkaufserlöse (Transaktionsvolumen) beträgt pro Kalenderjahr nicht mehr als das Fünffache des Wertschriften- und Guthabenbestands zu Beginn der Steuerperiode
  • Das Erzielen von Kapitalgewinnen aus Wertschriftengeschäften bildet keine Notwendigkeit, um fehlende oder wegfallende Einkünfte zur Lebenshaltung zu ersetzen. Das ist regelmässig dann der Fall, wenn die realisierten Kapitalgewinne weniger als 50% des Reineinkommen in der Steuerperiode betragen.
  • Die Anlagen sind nicht fremdfinanziert oder die steuerbaren Vermögenserträge aus den Wertschriften sind grösser als die anteiligen Schuldzinsen.
  • Der Kauf und Verkauf von Derivaten (insbesondere Optionen) beschränkt sich auf die Absicherung von eigenen Wertschriftenpositionen.

Liegen diese Voraussetzungen nicht kumulativ vor, so kann der gewerbsmässige Wertschriftenhandel nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. In einem solchen Fall müssen in einem zweiten Schritt die in Ziff. 2 aufgeführten Kriterien des Bundesgerichts geprüft werden. 

Relevanz der Unterscheidung

Nach Art. 18 Abs. 1 DBG sind alle Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-, Gewerbe, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf sowie aus jeder anderen selbständigen Erwerbstätigkeit steuerbar. Zu den Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit zählen auch alle Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Wertschriften (Art. 18 Abs. 2 DBG). Kommt man also zum Schluss, dass der Wertschriftenhandel in der Art und Weise ausgeübt wird, dass sie unter Heranziehung der bundesgerichtlichen Kriterien als gewerbsmässig qualifiziert werden kann, resultieren daraus nicht nur steuer- sondern auch sozialversicherungsrechtliche Folgen.

 

Zum einen werden die Gewinne aus dem Wirtschriftenhandel als Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit qualifiziert, welche wie bereits oben erwähnt, der Einkommenssteuer unterliegen. Die Verluste können nach Art. 27 Abs. 2 lit. b DBG vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden. Liegen geschäfts- oder berufsmässig begründete Kosten vor, können diese ebenfalls in Abzug gebracht werden (Art. 27 Abs. 2 DBG). Dazu gehören insbesondere die Zinsen auf Geschäftsschulden (Art. 27 Abs. 2 lit. d DBG). Des Weiteren können geschäftsmässig begründete Abschreibungen und Wertberichtigungen (Art. 28 DBG) sowie Rückstellungen (Art. 29 DBG) vorgenommen werden. Sofern der Wertschriftenhandel als private Vermögensverwaltung qualifiziert wird, ist der Gewinn aus der Veräusserung der Wertschriften nach Art. 16 Abs. 3 DBG nicht steuerbar. In diesem Fall können die Verluste nicht in Abzug gebracht werden (Art. 34 lit. d DBG).

 

Es gilt zudem zu beachten, dass im Falle von gewerbsmässigem Wertschriftenhandel die Einkünfte daraus auch der AHV unterliegen.

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Gewerbsmässiger Wertschriftenhandel
Kriterien und Abgrenzungen
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